rede dr. nils kößler 02.02.2023
Dr. nils kößler sprach in der 19. Stadtverordnetenversammlung zur Wahl von Wolfgang Siefert (Grüne) als neuer Verkehrsdezernent
Frau Vorsteherin, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Das ist völlig legitim, wenn die Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN ihren GRÜNEN-Kandidaten hier sehr positiv darstellt. Ich muss ihm auch gar nicht die positiven Eigenschaften, die hier aufgezählt worden sind, oder auch seinen sehr vorzeigbaren Lebenslauf absprechen, aber viele im Saal mussten sich doch schwer zusammenreißen, um nicht in Gelächter auszubrechen, denn die Wahrheit ist natürlich, dass sich Wolfgang Siefert in erster Linie vor anderthalb Jahren ein blaues Auge vom grünen Frauenstatut geholt hat, meine Damen und Herren.
(Beifall)
Wenn Herr Siefert so hervorragend für dieses Amt geeignet ist und gewesen wäre, dann hätte er wohl eigentlich auch vor anderthalb Jahren schon nach der Kommunalwahl und beim Start dieser Koalition im Team sein müssen. Wir haben das gerade gehört und es ist ein schönes Beispiel für Schönreden. Darauf werde ich später noch einmal eingehen. Es ist schöngeredet worden als anderthalb Jahre Nachsitzen als persönlicher Referent von Stefan Majer, was er offenbar aus Ihrer Sicht noch nötig gehabt hat. Das würde ich, ehrlich gesagt, Wolfgang Siefert, gar nicht so zumuten, diese Abqualifizierung. Bleiben wir aber bei dem, was hier gerade auch in den schönsten Farben dargestellt worden ist und was, glaube ich, für viele auch einen Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit darstellt.
Ein neues Frankfurt zu gestalten ist der Anspruch, den Sie als Koalition mit Ihrem Vertrag erhoben haben und den Sie auch eben sozusagen wieder ausformuliert haben. Es ist und bleibt eine vollmundige Ankündigung. Man könnte meinen, nach dem, was wir eben gehört haben, es sei in den letzten anderthalb Jahren ein gewaltiger Ruck durch Frankfurt gegangen und es wäre ein mächtiger Wumms, ein Wort, das im Moment voll im Trend liegt, als Startsignal für eine neue Epoche der Stadtgeschichte wahrzunehmen gewesen. Die Ergebnisse, die diese Koalition nach nunmehr anderthalb Jahren in der neuen Epoche, von der man selbst sprach, vorzuweisen hat, sind allerdings der Zahl nach leider eher einstellig und überschaubar.
Richtig beschlossen haben Sie bisher wenig. Bekennen, entwickeln, anstreben, unterstützen, untersuchen, prüfen oder noch besser die Steigerung davon: aktiv prüfen. Das ist die Ausdrucksweise einer schwachen Koalition, wie wir sie hier erleben, und das passt eigentlich auch zu dem Zitat, das Sie damals Ihrem Vertrag vorangestellt haben, in dem es heißt: „Wir meinen aber, man könnte etwas Neues versuchen.“ Diese vorsichtige und zaghafte Herangehensweise an die wirklichen Herausforderungen in unserer Stadt ist leider das Markenzeichen der Koalition. Mangelnde Entschlusskraft ist das, was wir regelmäßig feststellen müssen, wenn Sie mit Ihrem eigenen Programm überfordert sind, meine Damen und Herren.
(Beifall, Zurufe)
Absichtserklärungen, die wir am laufenden Band präsentiert bekommen, ob nun von Mitgliedern des Magistrats oder auch von Politikern aus den Reihen der Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung, mit Absichtserklärungen kommen die Menschen in Frankfurt nicht weiter. Stillstand tut unserer Stadt nicht gut. Das, was wir wirklich brauchen, kommt leider nicht. Ein vielsagendes Beispiel sind die schon so oft zitierten Günthersburghöfe. Erst wird ein fertig geplantes und auch ökologisch mehr als durchdachtes Wohnquartier kassiert, dann mit dem Koalitionsvertrag eine Neuplanung versprochen und am Ende soll jetzt mit dem Gymnasium Ost eine halbierte Schule gebaut werden. Von Wohnungen wird inzwischen überhaupt nicht mehr gesprochen bei dem Thema. Hier wird mit Zufallstechniken gearbeitet, fast wie im Dadaismus. Gegen jede Logik und Vernunft wird mit den verschiedensten Planungsvorhaben experimentiert, aber ein brauchbares Ergebnis für die Menschen in Frankfurt bleibt leider aus.
(Beifall)
„Warten Sie noch“ ist die Standardantwort der Koalition gegenüber Menschen, Journalisten und allen, die Sie fragen, wie es denn nun endlich mit den zahlreichen Versprechungen aus dem Koalitionsvertrag weitergehen soll. Die Liste ist lang, ob ich vom Bahnhofsviertel spreche, ob ich mir Binding anschaue, ob ich die Ausländerbehörde nehme, ob ich die Schulen, ob ich die Kitapersonalausstattung nehme, ob ich den lahmenden Wohnungsbau nehme, ob ich die Baustellen in der Kultur nehme, die Neugestaltung der Hauptwache, das Multifunktionsstadion am Waldstadion, den Umzug der Europäischen Schule, die Gewerbeflächenplanung, die Digitalstrategie der Stadt …
(Zurufe)
… oder, jetzt kommt etwas zum Verkehr, bleiben Sie entspannt auf Ihrem Platz, das E‑Scooter‑Chaos auf den Straßen und Plätzen. Davon haben wir heute schon gehört.
(Beifall, Zurufe)
Das allein sind 13 Beispiele, bei denen niemand ernsthaft die Wichtigkeit bestreitet, aber keiner wirklich behaupten könnte, da sei es irgendwie vorangegangenen in den letzten anderthalb Jahren. Alles, was dafür in Gang gesetzt wurde in dieser Koalition, sind Arbeitsgruppen, die aber leider kaschieren, dass es im Ergebnis eigentlich eine Untätigkeit und Aussitzen festzustellen gibt, obwohl notwendige Entscheidungen in dieser Stadt anstehen, auf die die Menschen dringend warten. Ausnahmsweise entschlussfreudig waren Sie allerdings bei Dingen wie der Abschaffung des freiwilligen Polizeidienstes. Bravo!
(Heiterkeit)
Nun fehlen wichtige Ansprechpartner für Sauberkeit und Ordnung in den Stadtteilen, …
(Beifall)
… die einige in dieser Stadt sehr vermisst haben. Da spreche ich nicht von Politikern aus den Reihen der Opposition, meine Damen und Herren.
(Zurufe)
Entschlussfreudig waren Sie auch beim Grundsatzbeschluss zum klimaneutralen Frankfurt, der hat uns allerdings bisher nur elf Seiten mit viel Text und wenig Handfestes beschert. Angekündigt und spät, aber tatsächlich geliefert hat die Sozialdezernentin das Corona‑Aktionsprogramm. Ich sage das ausdrücklich wertschätzend, weil das einmal eine wichtige Hilfe für viele Menschen in der Realität ist. Ansonsten aber viel heiße Luft, Stillschweigen oder wie bei der Freiraumsatzung und beim Gewerbeparkausweis ständiges Vertagen, immer wieder Vertagen und nochmals Vertagen. Dabei könnte diese Koalition endlich einmal ihren angeblichen Vertrag erledigen und vielleicht auch einmal ein paar Anträge dazu stellen. Gerade aber da, wo der Koalitionsvertrag ausnahmsweise konkret geworden ist, passiert leider auch nichts. Beim kostenlosen dritten Krippenjahr stand sogar – das war wahrscheinlich ein Fehler von Ihrer Seite – ein konkretes Datum im Vertrag.
(Zurufe)
Der erste August des letzten Jahres, der inzwischen verstrichen ist. Das ist ein halbes Jahr her. Jetzt streiten sich SPD und GRÜNE auf offener Bühne. Tatsächlich einmal ein Mehrheitsbeschluss, aber wenn er im Magistrat angekommen ist, bekommt er dort ein Stoppschild und es geht nicht weiter. Zielkonflikte lähmen die Stadt, weil sie die Koalition lähmen und die Bürger fragen sich: Wo ist das notwendige Frankfurt‑Tempo? Wenn heute ein Verkehrsdezernent gewählt werden soll, …
(Beifall, Zurufe)
… ist natürlich auch die Betrachtung der Verkehrspolitik notwendig. Das aber bringt mich leider auch nicht zu besseren Noten. Die Hoffnung auf eine gute Entwicklung Frankfurts ist bislang nicht erfüllt worden. Nötig wäre hier eine Politik des Miteinanders aller Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer und vor allen Dingen auch aller Verkehrsmittel, eine Gesamtplanung.
(Beifall)
Stattdessen setzt diese Koalition auf Biegen und Brechen Projekte ohne Rücksicht auf die Folgen für andere Stadtteile um, täuscht Kommunikation und Bürgerbeteiligung vor und
(Zurufe)
… gefällt sich in der Rolle des Inquisitors für den Autoverkehr. Sie betreiben Experimente und vernachlässigen die Sorgen und Bedürfnisse vieler Menschen in dieser Stadt und dazu gehören auch die Gewerbetreibenden. Politik hat aber die Aufgabe, pragmatisch die Bewältigung des Alltags zu unterstützen.
(Zurufe)
Wir sind uns wahrscheinlich einig, dass der Autoverkehr reduziert werden muss. Statt aber die Verkehrswende dadurch zu beschleunigen, dass Projekte und Maßnahmen zügig angegangen werden, um etwa Alternativen zum Auto anzubieten, geschieht nichts oder allenfalls etwas im Schneckentempo. Bei der wichtigen U‑Bahn‑Verlängerung von Bockenheim nach Ginnheim wurde erst 2022 mit der Grundwasseruntersuchung begonnen. Heute sind wir keinen Schritt weiter. Wo bleiben die Park‑and‑ride‑Parkplätze oder wenigstens ein Standortkonzept dafür? Wo bleibt die Ausweisung von Carsharing‑Standorten im öffentlichen Straßenraum? Das Einzige, was Sie können, ist rote Farbe für Radstreifen auf die Straßen zu malen. Das ist zwar häufig richtig, aber wirklich viel zu wenig, meine Damen und Herren.
(Beifall)
Wenn Sie angeblicher Bürgerbeteiligung das Wort reden, dann bedeutet das, den Lobbyisten Ihrer Projekte eine Stimme zu geben, aber leider nicht mehr.
(Beifall)
Andere Meinungen werden nicht gehört. Bei der Umgestaltung des Oeder Wegs wurde die Meinung der Gewerbetreibenden und des Einzelhandels vielleicht erfragt, ernst genommen wurden sie nicht. Beim Masterplan Mobilität wird das Gewerbe zwar formal beteiligt, die Standpunkte wurden im weiteren Verfahren aber wieder nicht ernst genommen und auch nicht berücksichtigt. Das ist vorgetäuschte, unehrliche Kommunikation, und was nicht in Ihr Bild passt, wird ausgeblendet.
Die Belange des Wirtschaftsverkehrs sind dabei noch gar nicht ernsthaft zur Sprache gekommen. Diese Beispiele zeigen aber, dass eine von der breiten Bevölkerung getragene Mobilitätspolitik bislang in dieser Koalition nicht Realität geworden ist und aufeinander abgestimmte Maßnahmen leider fehlen. Dazu hat die Koalition bisher keine Ergebnisse vorzuweisen.
Vielen Dank!
(Beifall)
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