rede Verena David 15.02.2022

Unsere gesundheitspoltische Sprecherin hielt ihre Rede in der Stadtverordnetenversammlung zu unserer Bahnhofsviertel-Initative

Sehr geehrte Frau Stadtverordnetenvorsteherin, meine sehr verehrten Damen und Herren!

Natürlich bekennt sich die Frankfurter CDU zum Frankfurter Weg in der Drogenpolitik. Das ist selbstverständlich. Wir haben auch die Erfolge nie infrage gestellt. Man muss sich einmal überlegen, dass hier jedes Jahr ungefähr 4.500 Menschen in Drogenkonsumräumen bei Konsumvorgängen registriert werden, dass 200 bis 400 Menschen im Bahnhofsviertel auf der Straße unterwegs sind und sozusagen auf Messers Schneide leben. Wenn dann nur zwischen 20 und 30 Menschen sterben, dann ist das natürlich ein großer Erfolg der Drogenpolitik. Und wir waren lange Zeit wirklich gut: mit der Eröffnung des Eastside, mit der Substitutionsambulanz Grüne Straße, mit der Heroin- beziehungsweise Diamorphin-Ambulanz, mit den niedrigschwelligen Konsumräumen. Das alles war wirklich gut. Aber dann, ungefähr nach 15 Jahren, hat sich in Frankfurt nichts mehr getan. Es hat der innovative Mut für neue Ideen und neue Wege gefehlt, der Mut, etwas Neues auszuprobieren.

Die CDU hat es sich in den letzten Jahren wirklich nicht leichtgemacht. Wir waren mit einer Delegation in Zürich und haben uns angeschaut, was dort gemacht wird. Es gibt einen Dreiklang bei den Maßnahmen, die funktionieren. Ein Teil des Züricher Modells ist, dass man es schafft – wie auch immer -, die Menschen in Drogenhilfeeinrichtungen zu behandeln. Es gibt dort drei fußläufig verteilte Drogenhilfeeinrichtungen. Warum haben diese Menschen ein Interesse daran, dort zu sein? Es gibt in der Hausordnung die Ansage, dass kein auffälliger Deal stattfinden darf. Das heißt, ein gewisser Mikrodeal wird in bestimmten, räumlich begrenzten Bereichen geduldet. So hat die Einrichtung die Möglichkeit, die Szene zu steuern. Es sollen keine Kleindealer verfolgt werden, sondern die großen Fische. Auf den Straßen in Zürich herrscht null Toleranz, in den Einrichtungen dürfen jedoch Mikrodeals stattfinden. Das heißt, die Schwerstabhängigen haben ein Interesse daran, in den Einrichtungen zu sein, und nutzen dort auch die Angebote zur Tagesstruktur, zu medizinischer Versorgung und so weiter.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist, dass es in Zürich fast keine Obdachlosigkeit gibt. Wir haben 950 obdachlose Menschen gemeldet, aber fast alle sind in irgendeiner Form mit Wohnungen versorgt. Es wird viel Wohnraum benötigt, auch das beinhaltet unser Antrag, sei es in Form von Mikroapartments, durch Hotelanmietung oder sei es trägergesteuerter Wohnraum. Das ist ganz, ganz wichtig.

Was ebenfalls wichtig ist, ist, dass man die Dinge auf der Straße kontrolliert. In Zürich geschieht das über die mobile Einheit „sip züri“. Das war auch schon im letzten Jahr unsere Idee, eine neue Einheit zu schaffen für robuste Sozialarbeit und Konfliktmanagement im öffentlichen Raum, wobei die Interessen aller berücksichtigt werden: die Interessen der Anwohner, Platzverträglichkeit, Quartierverträglichkeit. Jeder kann sich an diese Einheit wenden und die Einheit leistet Erste Hilfe oder vermittelt weiter. Das wäre ein Ansatz.

Was auch noch wichtig ist – Frau Baumann, Sie haben es angesprochen -, sind die innovativen Modellprojekte. In der Schweiz ist so etwas sehr erfolgreich. Sie haben nicht das große Crack-Problem. Warum haben sie es nicht? Ein Baustein ist, dass sie seit Jahren die Heroin-Originalstoffvergabe haben. Bei uns in der Substitutionsambulanz Grüne Straße ist das viel zu hochschwellig. Es gibt dort 80 Plätze, davon sind ungefähr 60 belegt. Allein die Voraussetzungen, an so einem Programm teilzunehmen, sind viel zu hoch. Man muss mindestens 23 Jahre alt sein und drei abgebrochene Therapien vorweisen – viel zu schwierig. In der Schweiz ist es für Schwerstabhängige viel einfacher, in allen Applikationsformen an Heroin zu kommen, zum Sniefen, als Tabletten, als Depot nach Hause. Man versorgt diese Menschen viel leichter.

Bei uns wurde sehr lange durch Methadon substituiert. Methadon hat viele Menschen dazu gebracht, dass sie beispielsweise anfangen zu saufen. Sie bekommen ihr Methadon und weil es keinen Kick bringt, fangen die Menschen an zu saufen und viele rauchen auch Crack. Das ist ein riesengroßes Problem. Ich war bei dieser Crack-Tagung. Ich unterstütze es ausdrücklich, dass wir neue Wege gehen. Auch der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Herr Bienert, hat ja gesagt, die Bundesregierung wird den Kommunen die Möglichkeit geben, Modellprojekte durchzuführen, und sie dabei unterstützen. Ich denke, diesen Weg wird auch die CDU-Fraktion definitiv mitgehen. Wir haben unsere Bereitschaft auch schon deutlich gemacht. Beispielsweise gibt es ja den Modellversuch, dass man Cannabis jetzt sozusagen schon auf Krankenschein bekommen kann, wenn die medizinische Indikation besteht. Es gibt aber keinen Modellversuch, dass man pauschal Crack oder Heroin substituiert. Crack lässt sich noch gar nicht substituieren. Ich halte es aber durchaus für einen gangbaren Weg. Crack macht die Menschen agitiert, macht sie nervös, gibt ihnen einen kleinen Kick. Wenn man sie irgendwie herunterbekommen würde, wenn das Craving geringer würde, wäre das, denke ich, ein ganz großer Erfolg.

Noch ein anderer wichtiger Punkt ist, dass wir in Frankfurt gemeinsam versuchen sollten, etwas zu unternehmen. Was fehlt denn in Frankfurt? Wir haben kein Drogenaktionsprogramm. Wir haben keine Meilensteine. Wo wollen wir 2025 stehen? Darum auch die Idee mit der Evaluation. Warum sagen wir nicht, das und das sind unsere Maßnahmen, unsere Leuchttürme? Wir wollen das einfach mal versuchen: uns Fristen setzen, bis zum Jahr 2025 oder 2028, es mit Geld hinterlegen und es evaluieren, um zu sehen, was klappt und was nicht klappt.

Auch das Monitoring-System Drogentrends in Frankfurt gibt entsprechende Handlungsempfehlungen. Es hat empfohlen, mehr Crack-Rauchräume, niedrigschwelligere Crack-Rauchräume, zur Verfügung zu stellen, denn viele, die Crack rauchen, wollen gar nicht so lange in dem Raum bleiben. Man kann ja Leute nur mit Lichtschrankenprinzip dort reinschicken. Finden wir doch für Crack-Rauchende andere Angebote, denn es besteht schon ein gewisses Interesse, so einen Platz aufzusuchen. Die Menschen verweilen dort bis zu 25 Minuten, das heißt, sie kommen dort zur Ruhe. Also wir brauchen für Crack-Rauchende andere Angebote.

Was haben wir noch vorgeschlagen? Es gibt die Idee aus Wien, die ich sehr faszinierend finde, dass man die Sozialarbeit ganz anders aufbaut. Wir reden heute über das Bundesteilhabegesetz, darüber, wie wir Teilhabe gewährleisten können. Wir reden über die UN‑Behindertenrechtskonvention. Wie können wir Menschen mitnehmen? Das geht nur, wenn sie die Chance auf Teilhabe bekommen. Wir brauchen meiner Auffassung nach in allen Einrichtungen ausgebildete Sozialarbeiter, studierte Sozialpädagogen, also ausgebildete Leute in allen Bereichen, die es wirklich schaffen, Menschen aus ihrer Notsituation herauszuführen, damit sie ihre Teilhabe leben können. Die Menschen werden – in Wien ist das so – im Sinne einer Lotsenfunktion begleitet. Es gibt träger- und einrichtungsübergreifende Sozialarbeit. Das steht auch in unserem Antrag. Sozialarbeiter begleiten die Menschen nach einem Clearing, denn sie haben ja oft keine Kontakte mehr zu ihren Familien, zu Freunden, zu Dingen außerhalb der Szene. Es kümmert sich niemand um sie, sie haben keine Mami, keinen Papi oder sonst jemanden, der sich verantwortlich fühlt. Diese Menschen sollen beispielsweise so einen Lotsensozialarbeiter bekommen, denn unser Ziel muss es immer noch sein, Menschen aus dem Bahnhofsviertel herauszubringen.

Und eine weitere Frage hat sich die Koalition auch nicht gestellt: Ungefähr 35 Prozent der Menschen, die zurzeit im Bahnhofsviertel auf der Straße sind, haben keinen Anspruch auf irgendwelche Leistungen. Was wollen wir mit denen machen? Ich glaube, um die müssen wir uns kümmern. Das ist so pauschal in diesem Katalog gar nicht abgefragt worden. Wollen wir dafür noch einmal einen Extratopf bereitstellen? Wollen wir die versorgen? Und was ist mit dem Umland? Alleine schaffen wir es nicht. In der Schweiz gibt es den Fortschritt, dass sich seit dem Jahr 2000 jeder verantwortlich fühlt. Der Kanton gibt Geld dazu und die anderen großen Städte haben Drogenhilfeeinrichtungen. Ein wichtiger Punkt in unserem Antrag ist deshalb, dass wir den Dezernenten gefragt haben, ob mit dem Umland beziehungsweise mit der Generalstaatsanwaltschaft gesprochen wurde. Die Möglichkeit von Mikrodeals ist wichtig. Wir lügen uns doch sonst in die eigene Tasche, denn irgendwo muss ja gedealt werden. Bei uns findet es eben auf der Straße statt, mitten im öffentlichen Raum. Wenn man ein Agreement findet, dann muss es mit gewissen Abgrenzungen auch in Einrichtungen möglich sein. Das BTM in der Schweiz ist nicht so viel anders als hier.

Wenn der politische Wille da ist, ist es möglich. Wir müssen den Menschen helfen. Wenn wir die Situation verbessern wollen, müssen wir uns alle einen Ruck geben. Ich fand es eigentlich schon revolutionär, dass sich die CDU in der letzten Wahlperiode nicht nur für eine mobile Einheit Frankfurt nach dem Modell „sip züri“ eingesetzt hat – es wurde dann mit einem verwaschenen Antrag der Koalition ein öffentliches Konfliktmanagement verabschiedet, aber es wurde nie etwas gemacht -, sondern dass wir auch gesagt haben, wir können uns Mikrodeals vorstellen – nach Absprache mit der Generalstaatsanwaltschaft und dem Sozialminister und einer entsprechenden Regelung in der Konsumraumverordnung. Man muss mit der Polizei reden. Wir müssen alle an einem Strang ziehen. Ich mache noch einmal das Angebot, die CDU ist durchaus bereit.

Den Punkt mit der Eastside-Drogenberatung, den finde ich sehr gut. In unserem Antrag war es, glaube ich, der Punkt zwölf, wo wir sagen, wir haben ein anderes Problem: Die Drogenabhängigen sind 47, 48 oder 49 Jahre alt. Das ist das gleiche Problem, das auch die Schweiz hat. Eigentlich können wir uns freuen, dass Menschen, die so lange Drogen konsumieren, so alt werden. Diesen Menschen müssen wir helfen. Sie können nicht in normale Pflegeheime aufgenommen werden. Wenn über ein entsprechendes Baurecht die Drogenberatung Eastside um eine Pflegeeinrichtung für schwerabhängige, kranke Menschen erweitert werden kann, die dort dann ihren Lebensabend mit guter sozialer und medizinischer Betreuung verbringen können, dann, denke ich, würde sich die CDU-Fraktion dem nicht verschließen. Wir haben es noch nicht beraten.

Auch Ihren anderen Antrag werden wir prüfen, in dem Sie viele Punkte ansprechen – Toilettenanlagen und dies oder jenes -, die wir alle in gewissen Abgrenzungen schon gefordert haben. Die Idee der Clearingfunktion, das Sozial- und Gesundheitszentrum neben dem neu zu schaffenden Hygienezen-trum im Bahnhof, ist eine gute Maßnahme. Das ist ein neuer Keypunkt, mit dem wir, glaube ich, einen neuen Leuchtturm setzen könnten. Das heißt ja nicht, dass die anderen Einrichtungen nicht wichtig oder nicht bedeutend sind.

Ich glaube, wir müssten auch noch einmal diskutieren, inwieweit es sonst noch niedrigschwellige Drogenhilfeangebote gibt – außer dem Eastside oder auch dem Ostpark, wo Menschen sich über Nacht aufhalten und drücken können. Bleibt die Konzentration im Bahnhofsviertel? Wie ist die mittel- und langfristige Drogenpolitik? Ich fordere den Magistrat auf, diese Dinge umzusetzen und ein Drogenaktionsprogramm 2025, 2030 vorzulegen und uns Vorschläge für Modellprojekte zu machen. Ich glaube, da können wir uns einiges vorstellen. Wir sind die Opposition. Wir sehen, dass wenig passiert, egal ob Wahlkampf ist oder nicht.

Vielen Dank!

(Beifall)

Verena David

Gesundheitspolitische Sprecherin

Wir müssen die Probleme im Frankfurter Bahnhofsviertel endlich anpacken! Schmutz, Drogen, Obdachlosigkeit, Prostitution und Kriminalität haben ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht. Vor allem die Frankfurter Drogenpolitik muss dringend neu ausgerichtet werden.

Folgen Sie uns auf Social Media