rede dr. nils kößler 27.01.2022
Dr. nils kößler sprach bei der 7. Stadtverordnetenversammlung zur Wiederwahl der SPD-Dezernentinnen und Dezernenten Hartwig, Weber und Josef
Frau Vorsteherin, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Frau Kollegin Zapf-Rodriguez und ich haben uns das ein bisschen aufgeteilt: Sie hat über den Bereich Wünsche gesprochen, und ich spreche jetzt über den Bereich Wirklichkeit, was die Arbeit und Politik in dieser Stadt angeht.
(Beifall)
Eben haben wir den Bericht aus der Koalitionsblase gehört. Jetzt muss ich darüber berichten, wie es die Menschen in dieser Stadt wahrnehmen.
(Zurufe)
Mehltau liegt über Frankfurt, das hat auch mit Corona zu tun, aber nicht nur. Die Koalition jedenfalls, die seit einem halben Jahr in Frankfurt politisch dran ist und eine Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung hat, kommt mit wegweisenden, zukunftsweisenden Entscheidungen nicht rüber. Das, was wir eben gehört haben, klang sehr nach einem Rezitieren des Koalitionsvertrages. Das wäre letzten Sommer okay gewesen, da haben wir es auch in selbstbewusst vorgetragener Weise gehört. Aber jetzt, ein halbes Jahr, nachdem man auch die Verantwortung übernommen hat, sollte es mehr zu berichten geben als die wohlformulierten Phrasen aus dem Koalitionsvertrag. Wir haben vorhin im Ältestenausschuss von manchen aus der Koalition, die das, glaube ich, etwas realistischer einschätzen, Formulierungen gehört, die die Sache besser treffen, da hieß es: „Wir sind noch nicht so weit.“ Das gilt für eine ganze Reihe von Politikfeldern, auf denen es in Frankfurt endlich vorangehen müsste mit einer neuen Koalition, die den hier lebenden Menschen gegenüber in der Pflicht steht. Geliefert wird aber ‑ das wurde eben auch sehr unverblümt eingeräumt ‑ bisher vor allen Dingen etwas, was man als Negativpolitik bezeichnen muss: Es werden immer Entscheidungen getroffen, was alles in dieser Stadt nicht mehr gehen soll. Das reicht aber nicht, meine Damen und Herren!
(Beifall)
So hat die Koalition entschieden: Es wird in Frankfurt keinen Freiwilligen Polizeidienst mehr geben. Was für die Sicherheit getan wird, bleibt offen. Die Koalition hat entschieden: Es sollen keine Autos mehr auf dem Mainkai fahren. Was dort stattdessen passieren soll, bleibt unklar. Die Koalition hat entschieden: Der Standort für die neuen Städtischen Bühnen wird jedenfalls nicht außerhalb der City sein; wo genau in der City er sein soll, wissen wir aber auch noch nicht. Auch bei der Frage solider Finanzen war die Koalition bisher nur in einem Punkt einig beziehungsweise in der Lage, zu entscheiden: Schulden deckeln oder etwa Schulden abbauen will man nicht. Fortschritte bei wichtigen Themen? Fehlanzeige.
Seit letztem Sommer ist die Koalition zunächst erfolgreich damit beschäftigt, den Mythos der großen Einigkeit zu unterstreichen und zu präsentieren. Der bekommt aber erste Risse, meine Damen und Herren, und das schon nach einem halben Jahr. Das Hü und Hott wird bei einzelnen Themen immer stärker sichtbar, vielleicht weniger in Ausschusssitzungen, aber dafür in Pressemitteilungen und in der Berichterstattung. Da helfen auch die wohlfeilen Interviews des Oberbürgermeisters aus der Weihnachtszeit nicht weiter, so sehr sie auch zur damaligen festlichen Jahresendstimmung gepasst haben mögen. Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Koalition bei wichtigen Themen nicht einig ist und keinen Plan hat. Das fängt an bei Themen wie der Multifunktionsarena und der Europäischen Schule, da gibt es nach wie vor unterschiedliche Präferenzen, die nicht einmal versteckt werden. Es geht weiter bei den Bühnenstandorten, die von der einen Partei so, von der anderen Partei so bevorzugt werden. Da hilft auch das Machtwort des Oberbürgermeisters nichts. Es setzt sich fort bei der Lücke im Bereich des U‑Bahn‑Netzes zwischen Bockenheim und Ginnheim, auch da ist von keinem Plan zu hören. Oder das Kinder- und Jugendparlament, über das wir vorhin im Ältestenausschuss gesprochen haben: Alle sind sich einig, dass es kommen soll und eine gute Sache ist – da sind wir dabei -, aber allein zu einer Aussage, wann es ungefähr so weit sein soll ‑ die Wahlperiode ist relativ lang ‑, ist die Koalition nicht in der Lage.
Ach ja, es gibt auch eine neue gute und wahrscheinlich noch mehrfach vorkommende Tradition: Wenn es Anträge in der Koalition gibt, für die die Reihen nicht geschlossen werden können, werden sie der Opposition zugespielt. Mal sehen, wie lange das der guten Laune so noch zuträglich ist. Bei Themen wie der Freiraumsatzung, die schon eine ganze Weile auf dem parlamentarischen Tisch liegen, haben wir uns als Opposition daran gewöhnt, dass wir es mit Dauerzurückstellungen zu tun haben. Bei anderen Themen, wie zum Beispiel dem Gymnasium Ost am Günthersburgpark, ist zumindest ein faktisches Scheitern des Projektes festzustellen, denn ‑ so wird es jedenfalls auch von der grünen Seite der Koalition erklärt ‑, da, wo es eigentlich gewünscht und vorgesehen war, kann es jetzt gar nicht mehr gebaut werden, dem stehen die Neuplanungen im Bereich Günthersburghöfe entgegen. Entscheidungsunfähigkeit setzt sich leider immer mehr auch im Außenbild dieser Koalition durch, schnell geliefert wird hier jedenfalls gar nichts. Was wir präsentiert bekommen, ist Ankündigungspolitik, die sich in sehr ausdrucksstarken und pathetischen, aber am Ende nicht besonders wirkungsvollen Anträgen darniederschlägt, die meistens mit der Formulierung „prüfen und berichten“ anfangen. Das ist dann der Auftrag an den Magistrat, bevor man gar nichts auf den Tisch legen kann – Symbolpolitik erster Güte.
Ankündigungen konnten wir auch von den neu gewählten Magistratsmitgliedern nach der Septembersitzung hier im Plenum lesen. Ob es die Kollegin Voitl ist, die einen Coronaaktionsplan für Kinder und Jugendliche im Journal Frankfurt angekündigt hat, oder etwa Frau Stadträtin Rinn, die den Kampf gegen Vermüllung als ihre große Aufgabe für die ersten 100 Tage im Amt präsentiert hat, oder die Stadträtin O’Sullivan, die die städtische Digitalisierungsstrategie endlich konkretisieren wollte ‑ was ja schon eine vorsichtige Formulierung ist ‑, aber auch da war bisher nichts wahrzunehmen. Und das ist, offen gestanden, nicht nur unsere Meinung, sondern auch die anderer Menschen.
Da, wo etwas passiert bei der Koalition, gibt es Licht und Schatten, aber keinen Glanz. Das gilt zum Beispiel auch für die Coronapolitik. Zugegeben, das ist ein sehr schwieriges Feld und es gibt da wenig Erfahrung, aber jedenfalls steht Frankfurt auch im deutschen Vergleich nicht besonders gut da. Das kann man im Moment noch weniger nachprüfen als sonst, denn nicht einmal verlässliche Daten, etwa über die Inzidenzen, sind verfügbar. Woran wir uns aber noch erinnern können, ist das Impfchaos im November und Dezember. Es war eine gute Entscheidung, das Impfzentrum beizubehalten, ganz klar. Das halten wir Ihnen auch zugute. Trotzdem gab es lange Wartezeiten. Menschen standen bei Eiseskälte stundenlang in der Schlange, um dann am Ende erst zu erfahren, ob sie zu denjenigen gehören, die an diesem Tag das Glück hatten, geimpft zu werden. Wer sich vorher darüber informieren wollte, fand Informationen auf der Webseite, die diese spannende Frage leider offen ließen, weil es natürlich wichtig war, dass die älteren Menschen zuerst geimpft werden. Das ist auch verständlich, aber trotzdem ist es eine Zumutung, wenn man sich dafür stundenlang bei Eiseskälte in die Schlange stellen muss, meine Damen und Herren.
(Beifall)
Bei den Impfangeboten muss man alle Menschen mitnehmen. Dazu gehören auch die Leute, die kein Internet haben – ein paar davon gibt es immer noch. In dieser Woche, in der wir hier tagen, gibt es keine Impfangebote, die man ohne Terminvoranmeldung wahrnehmen kann, jedenfalls keine, die auf der Webseite der Stadt angeboten würden. Nächste Woche findet sich für diese Menschen wieder etwas. Viel Glück dabei!
Meine Damen und Herren, wir kommen zu den heute zu treffenden wiederholten Personalentscheidungen der neuen Koalition – wiederholt deshalb, weil die drei Personen, die zur Wahl stehen, keine neuen Gesichter sind. Das Konzept „Weiter so“ kann ja auch ein überzeugendes sein, wenn es überzeugende Leistungen und gute Erwartungen an die Zukunft gibt.
(Zurufe)
Beginnen wir einmal bei Frau Stadträtin Weber. Der Schulentwicklungsplan für berufliche Schulen ist bisher nur Papier, die Berufsschulen werden hängengelassen, sowohl bei der Bauunterhaltung als auch bei dem ihnen mit Priorität versprochenen WLAN. In den zwei Jahren seit Beginn des stadtweiten Rollouts hat die Stadträtin gerade einmal 45 von 190 Schulen ans Netz gebracht, und das, nachdem es unter ihrer Verantwortung doch nun endlich losgehen sollte. Das ist viel zu wenig und viel zu langsam. Die Schuld kann jetzt auch nicht mehr auf Magistratskollegen oder missliebige andere Koalitionspartner geschoben werden, meine Damen und Herren.
(Beifall)
Es bleibt abzuwarten, ob die im September 2021 bei dieser Journal‑Frankfurt‑Befragung im letzten Jahr vollmundig für die ersten 100 Koalitionstage verkündete neue Schulbauoffensive mit zwei Milliarden Euro – eine eindrucksvolle Hausnummer – noch kommt. Bisher ist es eine Luftnummer, gehört und gesehen haben wir davon noch nichts. Durchweg die Note „ungenügend“ hat die Stadträtin auch bei einem sensiblen Thema, das Schülerinnen und Schülern, Eltern und auch dem Schulpersonal selbst in der Pandemie unter den Nägeln brennt: die Ausstattung mit Luftfiltern und Luftreinigungsgeräten. Hier geht es seit letztem Sommer trotz häufiger Nachfragen, auch gerade von uns als CDU, nur schleppend voran. Wo es vorangeht, ist bei den Kosten, die hat man nämlich inzwischen von zehn auf 23 Millionen Euro hochgeschoben. Im Gegenzug gibt es andere Projekte, die trotz hoher Kosten und umstrittener Nachfrage bei der Stadträtin Priorität genießen. So liegt leider immer noch kein schlüssiges Nutzungskonzept für das Haus der Vielfalt an der Mainzer Landstraße, den stadtRAUMfrankfurt, vor. Vorschläge, wie man hier zu mehr Dauermietern kommen könnte, sind stets zurückgewiesen worden. Lieber werden 15.000 Quadratmeter über drei Jahre weitgehend leer stehen gelassen. Gute Ideen gab es, etwa Kitas zu helfen oder internationale Vereine als Nutzer zu gewinnen. Das war aber nicht opportun. Ein schwaches Vermächtnis der vormaligen Integrationsdezernentin!
(Beifall)
Nein, meine Damen und Herren, Politik muss liefern, und zwar nicht nur Sprechblasen, sondern auch Ergebnisse. Mit Blick auf die Bilanz hat nach sechs Jahren Stadtrat Josef auch leider viel Ähnlichkeit mit einem Kaiser ohne Kleider. Das ist vor allem für die Wohnungssuchenden in dieser Stadt ein Problem. Es reicht nicht, sich mit angeblichen Rekordzahlen bei den fertiggestellten Wohnungen zu schmücken. Diese sind vor seiner Amtszeit auf den Weg gebracht worden und kommen im Übrigen seit 2018 leider nicht über die 4.000er-Marke hinaus. Die Zahl der neuen Wohnungen, auf die es ankommt und die wir durch Baugenehmigungen in der Zukunft vielleicht erwarten können, kennt seit 2018 nur einen Trend, der geht nach unten. Da sind wir um 30 Prozent in den Keller gerutscht. Von knapp 5.000 über 4.000 auf 3.500 im vorletzten Jahr – die Zahlen vom letzten Jahr haben wir noch nicht. Es liegt leider auf der Hand: Beim Thema Wohnungspolitik gibt es Stillstand in Frankfurt, und der trägt den Namen des Stadtrats.
(Beifall)
Fakt ist: 50 Bebauungspläne für Wohngebiete wären da, wenn man sie fertig machen würde. Das wäre auch gut in einer Zeit, wo die Frankfurter Bodenpreise immer weiter steigen. Hier werden vom Dezernenten leider nicht die richtigen Prioritäten gesetzt. Den Offenbarungseid – und übrigens auch den der Koalition – leistet der Stadtrat mit den gescheiterten Günthersburghöfen. Zwei Drittel der möglichen Wohnungen haben sich in Luft aufgelöst, das Gymnasium Ost ist gerade dabei, wir haben es schon gehört. Der Abenteuerspielplatz kann sich nicht entwickeln. Die Bürgerinitiative fährt hier mit der Koalition Schlitten, allen voran mit den GRÜNEN. Einen realistischen Plan oder gar Fortschritte gibt es auch bei einem anderen Lieblingsprojekt des Stadtrats, dem Frankfurter Nordwesten, nicht. Im Frankfurter Nordwesten nichts Neues, meine Damen und Herren. Erfolgreiche Projektsteuerung und Akzeptanz in der Bevölkerung? Fehlanzeige. Fehlanzeige ist auch zu erstatten bei den Themen Hochhäuser, Rechenzentren und Gewerbegebiete. Gerade bei diesen Bereichen muss es aber für die Stadtentwicklung zu Entscheidungen kommen und zu einer politischen Führung.
Gravierende offene Baustellen hat nach sechs Jahren auch die Dritte im Bunde zu verzeichnen, Frau Stadträtin Dr. Hartwig. Spitze Zungen nennen sie die „Meisterin der ungedeckten Schecks“ oder die „Königin der Seifenblasen“. Ich erinnere nur an die eben auch wieder stolz erwähnte Scheinlösung für die gekündigten Nutzer des Kulturbunkers am Marbachweg vor Weihnachten. Von einer Vertragsverlängerung hat man als Nutzer nichts, wenn man nicht wie bisher in den Räumen auch proben und Musik machen kann. Damit wurde uns zwar vor Weihnachten auch im Ausschuss für Kultur, Wissenschaft und Sport eine große Lösung präsentiert, am Ende aber für die Betroffenen nichts geliefert. Das muss für diese Menschen sehr bitter sein, meine Damen und Herren. Leider stagnieren auch einige zentrale Projekte unter dieser Kulturdezernentin, entweder mangels belastbarer Finanzplanung oder mangels Richtungsentscheidung oder mangels beidem.
Bei den Bühnen hat die Koalition als Minimalziel definiert, bis zum Ende, also in vier Jahren, maximal die Frage des Standorts zu entscheiden und einen Architektenwettbewerb gestartet zu haben. Beim Kulturcampus wird es ohne städtische Finanzierung und ohne eine Einigung mit dem Land auch kein Zentrum der Künste geben, das immer wieder versprochen wird. Beim Kinder- und Jugendtheater gibt es bisher nur ein Vielleicht. Vielleicht werden wir schlauer sein, wenn wir den Haushaltsentwurf kennen. Bei der Modernisierung des Zoos gibt es auch nur ein Vielleicht, ohne Haushaltsentwurf kommen wir da nicht weiter. Da hätten wir uns mehr gewünscht, genau wie für einige Bereiche der Kulturlandschaft, die in der sehr eindrucksvollen Selbstdarstellung ihrer Arbeit auch nicht vorkommen. Ob es die Privattheater sind oder klassische Frankfurter Museen und Institute oder eben kulturell ausgerichtete Vereine in den Stadtteilen – sie alle kommen dort nicht vor. Diese Defizite wundern uns auch deshalb, weil die Dezernentin ein rekordverdächtiges Dezernatsbüro mit 15 Stellen aufgebaut hat. Ihr Vorgänger, Herr Semmelroth, hatte einmal neun, Herr Stadtrat Frank hatte elf Stellen. Wenn demnächst das Geld knapp werden sollte, muss der Kulturetat diese Stellen zulasten der kulturellen Arbeit einsparen.
Meine Damen und Herren, diese nüchterne Analyse zeigt, dass die drei zur Wiederwahl vorgeschlagenen Magistratsmitglieder nur eine gemischte Bilanz und mäßige Leistungen präsentieren können. Wir sehen da für die nächsten Jahre – ich komme zum Schluss – auch nur wenig Grund zur Hoffnung. Aber für Frankfurt brauchen wir mehr. Wenn wir von der Verwaltung Spitzenleistungen erwarten, was wir doch immer wieder betonen und auch oft bekommen, dann brauchen wir an der Spitze der Dezernate auch Menschen, die solche Spitzenleistungen erbringen. Das Personalangebot der Koalition heute Abend erfüllt diese Voraussetzung leider nicht.
Vielen Dank!
(Beifall)
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