rede dr. nils kößler 23.09.2021

Dr. nils kößler sprach bei der 5. Stadtverordnetenversammlung Neuwahl des Magistrats

Frau Vorsteherin, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich wünsche der neuen Koalition zum Wohle unserer Stadt mehr Harmonie, mehr Konzept und mehr Verlässlichkeit als wir es in den letzten Monaten von dem neuen Viererbündnis erlebt haben. Denn bei allen drei Disziplinen gibt es leider Defizite schon jetzt. Harmonie? Eine neue Koalition macht sich auf den Weg, vier ungleiche Parteien wollen ab jetzt gemeinsam den Ton angeben. Die spannende Frage ist, wie viele gemeinsame Töne werden wir in der nächsten Zeit erleben dürfen? Der Koalitionsvertrag vor der Sommerpause war schon mal viel Kakofonie. Ein gutes Beispiel, oder leider, ehrlich gesagt, ein schlechtes Beispiel dafür, dass in dem neuen Linksbündnis jedenfalls nicht das Motto Gründlichkeit vor Schnelligkeit gilt, sondern das Gegenteil. Die chaotische Personalfindung bei GRÜNEN und Volt für den neuen Magistrat ist ein klarer, unzweifelhafter Beleg dafür.

Die erste reguläre Ausschusssitzung am Montag passte genauso dazu. Statt in gemeinsamer Vorstellung die neuen Handlungsfelder Controlling und Revision in einem neuen Ausschuss zu präsentieren, gab es von der Koalition vor allen Dingen widersprüchliche Meinungen dazu, wie lange der Ausschuss gehen und was für ein Konzept er haben soll. Die GRÜNEN wollten einen Sonderausschuss nur auf Zeit, die SPD sieht darin eine Dauerveranstaltung, FDP und Volt haben in der Diskussion überhaupt keine Rolle gespielt. Die kreative Kandidatenreihung heute bei der Abstimmung zur Disziplinierung der eigenen Reihen mit Bastian Bergerhoff am Ende ist auch ein klares Zeichen, dass hier Handlungsbedarf von der Koalition selbst gesehen wird.

Konzept? Wir haben zwar einen umfassenden Koalitionsvertrag alle ausgeteilt bekommen, aber darin finden sich keine richtungsweisenden Entscheidungen oder gar schlüssige Konzepte zu den wirklich dringenden Fragen in dieser Stadt. Sei es der Standort der Bühnen,- vertagt. Sei es der Weiterbau der U‑Bahn-Linie U4 – vertagt. Sei es der Bau einer Multifunktionsarena – vertagt. Sei es die Frage eines neuen Gewerbegebiets – nicht beantwortet. Sei es der Weg zu mehr Sauberkeit, als Problem allenthalben von den Menschen dieser Stadt erkannt – kein Konzept. Sei es der Weg zu mehr bezahlbaren Wohnungen – außer Wünschen und Bekenntnissen keine Wege aufgezeigt. Sei es der Weg zu einer sozial verträglichen Verkehrspolitik, die wir sicherlich alle im Ergebnis wollen – kein wirklicher Weg aufgezeigt. Sei es eine Verbesserung der Situation im Bahnhofsviertel, die dringend notwendig ist – keine überzeugenden Konzepte dazu im Koalitionsvertrag. Und last but not least, natürlich auch keine Ansage, wie die neue Koalition mit dem Oberbürgermeister umgehen will.

Verlässlichkeit? Die neue Koalition trägt bereits jetzt den Stempel Koalition der Halbwertszeiten. Die Verfallsprozesse bei den inhaltlichen Aussagen der Koalition und ihrer Protagonisten zeigen eine atemberaubende Geschwindigkeit, meine Damen und Herren. Die Glaubwürdigkeit löst sich im Rekordtempo auf, was ich nur an zwei Beispielen ausführen möchte. Es geht los mit dem, was heute auf dem Programm steht, die Ausweitung des hauptamtlichen Magistrats um eine völlig unnötige Stelle zum Wohl der FDP.

                              (Beifall)

Bezeichnend ist dabei, dass nicht einmal der scheinheilige Versuch gemacht wurde, irgendwelche sachlichen Argumente vorzuschieben. Es wurde von Anfang an klar gesagt und eingeräumt, dass dies dem koalitionsinternen Proporz geschuldet ist. Eine politische Gefälligkeit von GRÜNEN, SPD und Volt, die mit dem neuen Dezernat den Frankfurter Steuerzahlern allein personalkostenbedingt eine Millionen Euro pro Jahr aufbürden. Zuständigkeiten, die bislang Stadtrat Markus Frank allein wahrgenommen hat, diesen Zuständigkeiten dürfen sich in Zukunft drei Hauptamtliche sehr entspannt widmen, so sieht es der Koalitionsvertrag vor. Das ist am Ende auch ein Schlag ins Gesicht der Beschäftigten in der Frankfurter Stadtverwaltung, die ihrerseits aufgrund von Sparzwängen keine Entlastung erfahren, aber ständig neue Aufgaben und Anforderungen bewältigen müssen.

Das ganze Kapitel ist für die FDP natürlich besonders peinlich, weil genau diese, justament eine der heutigen Kandidatinnen, ziemlich genau vor fünf Jahren und ziemlich genau an dieser Stelle hier Folgendes gesagt hat. Ich zitiere die Stadtverordnete Annette Rinn vom 14. Juli 2016: „Um es vorwegzunehmen, die FDP wird bei den anstehenden Stadtratswahlen mit Nein stimmen. Das hat weniger mit den Personen zu tun, die zur Wahl stehen, die wir nicht einmal alle kennen, als vielmehr damit, dass zum einen natürlich mindestens eine oder einer zu viel gewählt wird, und zum zweiten mit dem Koalitionsvertrag, der praktisch das Arbeitsprogramm für die neue Koalition ist.“

Bleiben wir zunächst bei dem FDP-Lieblingsthema, der Magistratsgröße. Die Freien Demokraten haben im selben Jahr, also in 2016, damals im Dezember, eigens einen Antrag eingebracht mit dem Titel „Verkleinerung des Magistrats“. Das, was beschlossen werden sollte nach dem Wunsch der damaligen FDP, lautete: „Die Stadtverordnetenversammlung möge beschließen: Auf eine Wiederwahl des derzeitigen Gesundheits- und Personaldezernenten wird verzichtet. Nach Ablauf seiner Amtsperiode im Juni 2017 wird der hauptamtliche Magistrat um eine Dezernentenstelle auf neun Stellen verkleinert.“ Dafür wurde auch eine Begründung gegeben. Der Magistrat sollte hier korrigiert werden. Die Ausweitung auf zehn Stellen, die die damalige Koalition 2016 vorgenommen hatte, sollte rückgängig gemacht werden. Heute bewegen wir uns in die andere Richtung. Da wird noch eine Stelle oben draufgelegt.

Als Fan der Nachhaltigkeit möchte ich Ihnen noch ein paar weitere wieder aufgewärmte Häppchen von der früheren FDP‑Fraktionsvorsitzenden servieren, durchaus Leckerbissen für Menschen mit Humor: „Das liegt daran, dass der Koalitionsvertrag über weite Strecken nicht viel mehr bietet als Sprechblasen, Selbstverständlichkeiten, vage Absichtserklärungen.“ Es geht weiter: „Man sollte sich generell einmal darüber Gedanken machen, was man dafür tun kann, damit der Verkehr in dieser Stadt besser fließt, zum Beispiel durch intelligentere Ampelschaltungen.“ Und ein drittes Zitat: „Es steht allerdings auch einiges darin“, das bezog sich auf den Koalitionsvertrag, „was wir für sehr problematisch halten. Ein Beispiel ist das absolut sture und verbohrte Festhalten am Passivhausstandard.“

Da kann ich Sie beruhigen, meine Damen und Herren von der FDP und namentlich Frau Rinn, auch wenn sie es jetzt nicht hört, dieses Mal müssen Sie sich um den Passivhausstandard keine Sorgen mehr machen. Dieses Mal haben Sie als FDP mit den anderen sogar noch etwas oben draufgelegt. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu nämlich, allerdings auch nur kurz und knapp: „Wir etablieren den Plusenergiehausstandard.“ So kann sich das alles schnell ändern. Frau Rinn war als Wahrsagerin in 2016 aber noch bei anderen Themen unterwegs. „Mit dem schönen Motto ‚Koste es, was es wolle‘, bleibt die neue Koalition auf der Linie der alten Koalition, die sich um die finanzielle Nachhaltigkeit in der Regel auch nicht groß geschert hat.“ Gut, das war vielleicht ein bisschen pauschal, in der alten Koalition gab es ja durchaus auch Kräfte, denen das wichtig war.

Wahre Worte, Frau Rinn. Damals war es auch so, dass sie kritisierte: „Nichtsdestoweniger findet sich im Koalitionsvertrag auch hier wieder kein einziges Wort zu der Frage, wie man gedenkt, wenigstens ansatzweise, von wenigstens einem Teil dieser langfristigen Schulden wegzukommen, im Gegenteil.“ Wahre Worte, 2016 mit prophetischer Gabe gesprochen, 2021 eingetroffen. Das ist die Ironie der Geschichte, meine Damen und Herren.

Aber es soll hier natürlich nicht nur um die FDP gehen. Bei dem Thema Koalition der Halbwertszeiten spielen ja noch andere im dissonanten Orchester der zerfallenden Glaubwürdigkeit mit. Was war es doch erbaulich, im Koalitionsvertrag seitenweise – genauer gesagt – auf 19 Seiten von den geplanten Wohltaten für die Frankfurter Kultur zu lesen. Da ging einem ja das Herz auf. Eingelullt von diesen schönen Dingen bekam sogar ich gute Laune beim Lesen des Koalitionsvertrags. Allein die Freude währte nur kurz. Die Stunde der Wahrheit kam schnell, genaugenommen am Samstag, dem 28. August.

Im Interview mit der Frankfurter Neuen Presse gab der Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN einen Einblick in das, was wirklich zu erwarten ist. Auf die Frage, wo denn nun mit Einsparungen zu rechnen ist, antwortete Herr Bakakis laut Zeitung: „Bei den Dingen, die in der Priorisierung weiter unten stehen.“ Und das wurde auch erklärt. „Soziales, Gesundheit und Gleichberechtigung stehen ganz oben, weiter unten ist dann halt die Kultur.“ Es gab noch den Versuch der Schadensbegrenzung, der wurde hinterhergeschoben. „Das heißt nicht, dass wir die Kultur kaputtsparen.“

Ja, das ist natürlich so, in der Sprache der GRÜNEN gibt es da ja eine längere Tradition. Seit 1990 gibt es eine präzise Übersetzung in der Sprache der GRÜNEN, die lautet, die Kultur muss bluten. Wir erinnern uns, damals musste eine rot‑grüne Koalition in Frankfurt krass sparen, weil der Haushalt defizitär war und neben der Streichung eines geplanten Museumsbaus sollte die damalige Kulturdezernentin im laufenden Jahreshaushalt 60 Millionen DM einsparen. Die neuen Frankfurter GRÜNEN im Jahr 2021 greifen diese Parteitradition auf, mögen auch die alten Frankfurter GRÜNEN, die ja heute nichts mehr zu sagen haben, in den letzten Jahren geglaubt haben, das sei erfolgreich verdrängt worden. An das romantische Kapitel Kultur im Koalitionsvertrag können wir gleich heute also einen Haken machen. Es wird sich bald zeigen, welche Versprechen als nächstes kassiert werden. Vielen Dank!

                              (Beifall)

DR. NILS KÖßLER
Fraktionsvorsitzender

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